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Meine Schulzeit - Ein Rückblick (Teil 2)

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  • Meine Schulzeit - Ein Rückblick (Teil 2)

    Unterm Rad


    Eigentlich hätte ich gewarnt sein müssen. Von Felicitas persönlich, J.´s Schwester. Mein Entschluss, Mein Wechsel auf die ortsansässigen Kaufmännischen Schulen war es schließlich, der meinen inneren Bruch mit "der Schule" endgültig besiegeln sollte. Nachdem mir bereits die Hauptschulzeit nicht immer in bester Erinnerung geblieben ist, verschärfte sich die Situation dort in massiver Weise. An dieser Stelle seien zum besseren Verständnis einige Umstände genannt. Ich war wie meine Klassenkameraden 15-16 Jahre alt, ein Alter des Heranwachsens also, was sich ab und zu recht schwierig gestaltet. Doch auch einige andere Faktoren trugen ihren Part zur Situation bei. Kurzgefasst ist vor allem die heterogene Zusammensetzung der Klasse zu nennen. Heterogen, weil sich in diesem "Schmelztiegel" Schüler unterschiedlicher Schularten und ebenso verschiedener Leistungsniveaus zusammenfanden. Dem den größten Anteil bildenden Hauptschülern standen Absolventen von Realschulen und Gymnasien gegenüber, die in einigen Fächern auf bereits vorhandenes Wissen zurückgreifen konnten. Nicht zuletzt deswegen ergab sich bezüglich der Leistungen ein sehr gemischtes Bild. Schüler mit hervorragendem Leistungsbild waren ebenso anzutreffen, wie jene, die sich mit „Hängen und Würgen“ durchs Schuljahr schleppten oder gar nicht erst versetzt wurden. Doch mein eigentliches Anliegen ist von größerer Tragweite


    Der Deutschunterricht zur Vorbereitung der Fachhochschulreife bescherte uns Heinrich Bölls Novelle "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Untertitel: Wie Gewalt entsteht und wohin sie uns führen kann. Dies im schulspezifischen Bereich zu ergründen soll Gegenstand der folgenden Abschnitte sein.

    Ich wechselte zu einer Zeit an diesem Schulkomplex, als Gewaltvorfällen innerhalb der schulischen Organisation noch nicht die Aufmerksamkeit beschieden war, die diese heute haben und damals schon hätten haben sollen. Jahrelang einer solchen Gewalt ausgesetzt zu sein wirkt zermürbend und zieht auch die Gesundheit (psychisch und physisch) in erhebliche Mitleidenschaft. Ich weiß, wovon ich spreche. Und so wird es Zeit, dass ich mich endlich offenbare. Denn ich war während der gesamten Dauer dieser beiden Jahre dem massiven Psychoterror zweier Mitschüler ausgesetzt. Aber der Reihe nach.

    Am Morgen des 17. August 1992 traf ich mich zunächst mit meinen bisherigen Schulkameraden von der Hauptschule, die den gleichen Bildungsweg einschlagen wollten. "Ich denke, wir werden wohl alle in eine Klasse kommen", mutmaßte eine Mitschülerin. Da sollte sie sich irren. Denn statt diese Gruppe - insgesamt acht Personen - in einem Klassenverband zu lassen und somit auch für einen weiteren Zusammenhalt unter den Ex-Hauptschülern zu sorgen, wurden wir, nach Begrüßung durch den stellvertretenden Schulleiter in der Aula der neuen Schule, nach konfessioneller Zugehörigkeit in zwei Klassen á 30 Schüler aufgeteilt. Diese Schüler rekrutierten sich sämtlich aus meinem Heimatort und den umliegenden Gemeinden.
    Klassenlehrer Ullman begleitete uns ins künftige Klassenzimmer. Dort angekommen entschloss ich mich, neben Andreas Platz zu nehmen, mit dem ich bereits seit vielen Jahren die Schulbank gedrückt hatte und mit dem ich mich bis dahin auch gut verstand. So begann schon in den ersten Tagen der Terror mit einer Bagatelle. "Rasier´ Dich doch endlich mal", meinte dieser schon am zweiten Tag mit Blick auf den sprießenden Flaum an meinen Wangen und wandte sich mit diesem Anliegen sogleich an Jürgen, der sich zu meiner linken befand und dieser Ansicht zustimmte. Über Wochen wurde ich von Andreas und Jürgen mit dieser Episode gepiesackt. Von da an war ich für die nächsten beiden Jahre täglichen Beleidigungen, Schikanen und durchaus auch Tätlichkeiten dieser Schüler ausgesetzt, wobei ich allerdings hinzufügen sollte, dass Andreas´ Attacken im zweiten Schuljahr etwas abnahmen, als sich für mich endlich die Chance bot, auf einen anderen Sitzplatz zu wechseln. Im Nachhinein erscheint vor allem Jürgen als jener so oft beschriebene Typ Mensch, der nicht in der Lage ist, hohe Intelligenz mit einem entsprechenden Verhalten den Mitmenschen gegenüber zu paaren. Ich werde diese These anhand der folgenden Dialoge vertiefen.


    Jürgen: "Na Kaiser (Anm.: Ich wurde von ihm immer nur mit meinem Nachnamen angeredet), was hattest Du denn für ´ne Note im Abschlusszeugnis?"
    Ich: "Also ich hatte einen Durchschnitt von 2,3 im Abschlusszeugnis."
    Jürgen (kokettiert): "Ich hatte eine 1,4."
    Ich: "Na, dann warst du sicherlich auch Klassenbester."
    Jürgen: "Nein, eine andere war noch ein Zehntel besser."
    Ich: "Dann warst du sicherlich sehr fleißig."
    Jürgen: "Nein, ich habe mich niemals auf irgendeine Klassenarbeit vorbereiten müssen. Mir ist das alles so zugefallen."

    Einer unlängst aufgeschnappten Definition von Mobbing ist ein solches Verhalten "Ausdruck einer gestörten Kommunikation". Jürgen hätte dies auf Grund seiner Gaben erkennen können. Doch um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, dass seine herausragenden Leistungen irgendeinem "Strebertum" (eine Mitschülerin stand sehr bald im Ruf, eine solche charakterliche Eigenschaft zu haben) geschuldet sein könnten, sondern ausschließlich seiner Begabung zuzuschreiben seien, ging er weiterhin unbeirrt seinen Weg, mit dem Lächerlichmachen und Quälen von Mitschülern bleibende Anerkennung innerhalb der Klasse herauszuschinden. Andreas entschied sich für denselben Weg, was die folgenden Vorfälle dokumentieren.
    Geschichte blieb auch auf der Wirtschaftsschule meine Passion. Der zu behandelnde Unterrichtsstoff erstreckte sich dabei von der Französischen Revolution bis zur Geschichte der DDR. Entsprechende Anerkennung ernteten meine zahlreichen mündlichen Beiträge hierzu. Andreas, als langjähriger Mitschüler mit diesem Sachverhalt bestens vertraut, nutzte das, einmal auf den Geschmack gekommen, wie folgt aus: "Na, jetzt sag´ schon wie heißt dieser Politiker (deutet feixend auf verschiedene Porträts) und dieser, und dieser...." Jürgen zeigt auf ein Bild im Geschichtsbuch: "Ja also, wie heißt dieser Typ denn noch mal, wann war der Kanzler, los, sag' s endlich". Heute erschreckt es mich selbst, wie sehr ich innerhalb recht kurzer Zeit gegenüber diesen Attacken abstumpfte. Doch versuchte ich zunächst einmal auf stur zu schalten.
    Am darauffolgenden Montag setzte sich Andreas wie immer neben mich. Mit durchsichtigem Gestelze begrüßt er mich: "Guten Morgen, Herr Kaiser", nachdem ich ihn nicht wahrgenommen hatte. Drehten sich früher unsere Gespräche um die schulischen Angelegenheiten, entwickelte Andreas einen zunehmend eine subtile Form von Gewalttätigkeit mir gegenüber.


    Andreas: "Na sag schon, wo bist Du am Freitag Abend gewesen, was hast du so getrieben?"
    Ich: (verharre in Schweigen, tue so, als hätte ich nicht gehört, nachdem Andreas´ Verhalten mich mehr und mehr verletzte)
    Andreas (schreit mich an, dass ich am ganzen Körper zittere): "DU SOLLST MIR JETZT SAGEN, WAS DU AM FREITAG ABEND GEMACHT HAST!!"


    Völlig perplex und den Tränen nahe beantwortete ich ihm seine Frage. Ich überlegte, ob ich mich mit meinem Problem einem unserer Lehrer anvertrauen sollte, lies dies aber dann doch bei sich bewenden, vor allem mit Hinblick auf die Folgen einer solchen Handlung. Vielleicht ändert er sich ja noch, hoffte ich in meiner Naivität. Doch dem war nicht so. Andreas sieht sich viel mehr dazu ermuntert, mich weiterhin zu schikanieren. Auf nicht minder kriecherischem Niveau beginnt er von seiner Angebeteten zu erzählen: “Also die Sandra hat so ein tolles Aussehen, viel besser, als die Göre, für die Du so schwärmst (Anm.: Ich war zu jener Zeit in eine Mitschülerin von meiner Hauptschulklasse verliebt). Und vor allem: Die spielt Geige! Gestern Abend habe ich sie zum Chinesen eingeladen“, erzählt er mir und kredenzt zum Beweis einen Zahlungsbeleg des Restaurants. Ja, er hatte Schneid. Dass die charakterliche Entwicklung um so mehr darunter zu leiden hatte, beweist ein Vorfall, der sich wenige Tage später zutrug.

    Das Verhalten dieser beiden erinnerte mich mehr und mehr an Situationen wenige Jahre zuvor. Ich war zu jener Zeit zwecks Vorbereitung der Firmung im allwöchentlichen Gruppenunterricht und wurde dort ständig - mit Wissen der damaligen Gruppenleiterin - unter Anweisung eines Gruppenmitglieds, das mich - wie eingangs erwähnt - schon seit Jahren bei Gelegenheit massiv körperlich attackierte, regelmäßig geschlagen. Die aufkeimende Bitternis sollte jedoch kein Hindernis im schulischen Fortkommen sein, schwor ich mir. Ich versuchte, dem Unterricht so gut wie möglich zu folgen, um das gute Leistungsbild der Hauptschulzeit nahtlos auf die neue Umgebung zu übertragen. Doch immer standen Andreas und Jürgen dabei im Wege. Das mir in einer Unterrichtsstunde von den beiden z. B. eine Seite aus meinem Englischbuch gerissen wurde, gehört noch zu den harmloseren Vorkommnissen. Diese beiden machten sich in der nächsten Zeit einen Spaß daraus, mich andauernd tuntenhaft an den Schenkeln zu begrapschen. Andreas macht dazu ein saudämliches Gesicht und raunt mir in gespieltem Französisch zu: "Isch liebe disch, Cheri". Unser Religionslehrer, ein ausgesprochen verständnisvoller Pädagoge, sprach das brisante Thema Schulmobbing gleich zum Schuljahresbeginn anhand eines von ihm verfassten Textes an. Die Reaktion innerhalb der Klasse war eher mau, für mich selbst wäre es jedoch eine vorzügliche Gelegenheit gewesen, diese Problematik anhand meiner Situation zur Sprache zu bringen.



    Ullman: Ein Lehrbeispiel pädagogischen Versagens


    Ernste Probleme bescherte uns auch der Klassenlehrer. Hier muss vorausgeschickt werden, dass dieser Didaktiker - er hielt am selben Morgen wie wir an der Schule seine erste Unterrichtsstunde ab - vor seiner Tätigkeit an den Kaufmännischen Schulen für ca. ein Jahrzehnt vom Dienst beurlaubt war und diese Zeit überwiegend mit Weltreisen (deklariert als "Forschungsaufenthalte") ausfüllte. So redete ich mir ein, dass sein Verhalten auf die lange Abstinenz von den schulischen Institutionen zurückzuführen sei, und er sich daher erst wieder "warmlaufen" müsse. Doch ich wurde nach und nach eines besseren belehrt und möchte dies anhand einiger ausgewählter Fakten belegen:

    In einer der ersten BWL-Unterrichtsstunden (er war hierfür Fachlehrer) wurde er von einigen Schülern gebeten, einen behandelten Sachverhalt etwas ausführlicher zu erklären. Statt diesem Anliegen nachzukommen, hielt er es für nötiger, dies mit der Bemerkung "Soll ich euch noch den A... abwischen" zu quittieren. Kritik verdiente auch die Haltung bezüglich der zu schreibenden Klassenarbeiten: Eine dieser Klausuren hatte ein zuvor im Unterricht nur unzureichend behandeltes Thema zum Gegenstand, was einige Schüler lautstark bemerkbar machten, und den Lehrer dazu veranlasste den Protest mit den Worten "...und jetzt wird geschrieben!!" niederzuschreien. Weiterhin lies er unserer Klasse gegenüber verlautbaren, dass sich auch einige seiner Kollegen despektierlich über uns geäußert hätten. Die Klassensprecherin, die nach Nichtbestehen des ersten Schuljahres in dieses Amt gewählt worden war, erwies sich dabei als recht resolut und nahm so diese Bemerkung zum Anlass, in den folgenden Tagen sämtliche unsere Klasse unterrichtende Lehrer nach deren Haltung zu den geäußerten Vorwürfen zu befragen.

    Von diesen wurde durchaus berechtigte Kritik geäußert. Ein Lehrer stand mit der Feststellung nicht allein, dass es sich bei Schülern nicht nur unserer Klasse mit der Zeit um Usus entwickelte, den Unterricht nach Belieben zu beenden. Ein Beispiel das wieder einmal verdeutlicht, welche Rolle der Gruppenzwang spielen kann: Vor Beginn der Weihnachtsferien wurde eigenmächtig der Entschluss gefasst, den Unterricht eine Stunde eher zu beenden. Eine Schülerin, die dem nicht folgen wollte, durfte sich folgendes zu Gemüte führen: "Gib' s doch zu, vorher hast fast angefangen zu heulen". Auffällig war dem Religionslehrer ferner, dass Katrin wegen eines Sprachfehlers zur ständigen Zielscheibe von Hohn und Spott wurde. "Nun, ich muss auch Euch gegenüber Kritik äußern. Diese bezieht sich unter anderem auf das Verhalten gegenüber der Katrin, die immer dann, wenn Sie einen mündlichen Beitrag zum Unterricht leistet vor allem von der hinteren Reihe massiv nachgeäfft wird." Eine weitere Lehrkraft konstatierte: "Also fünf Minuten mit offenem Mund gähnen oder andere derartige Vorkommnisse hätten noch vor zehn Jahren im höchsten Bogen zum Rauswurf aus dem Klassenzimmer geführt."

    Einen ersten Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen mit Ullman durch ein von der Klassensprecherin und deren Stellvertreter in Gemeinschaftsarbeit initiiertes Schreiben an unsere Eltern, in dem die offensichtlichen Missstände angeprangert wurden. Zum Handeln aufgefordert berief Ullman eine Sitzung in einen Aufenthaltsraum ein, in der die Vorwürfe erörtert wurden. "Ich bin schon ziemlich schockiert über die erhobenen Vorwürfe, zumal sich doch die ganze Situation in der letzten Zeit erheblich gebessert hat". Sein Umgang der Klasse gegenüber besserte sich in der Folgezeit merklich, doch nach einigen Wochen traten die alten Verhaltensweisen wieder voll zutage. Nichtsdestoweniger Trotz gab Ullman Anstoß zu einer Klassenfete, die dann auch kurz vor Weihnachten im Gasthaus der Eltern einer Schulkameradin abgehalten wurde. Diese Fete war der Auftakt zu einer ganzen Reihe derartiger Veranstaltungen, an denen er regelmäßig teilnahm und seiner Verantwortungslosigkeit vor allem durch immensen Alkoholkonsum genüge tat, was bei den Schülern unterschiedliche Reaktionen auslöste, im Kollegenkreis, dem diese Eskapaden nicht verborgen blieben, auf eindeutige Abneigung stieß. Ihm selbst fiel vor allem der Alkoholzuspruch seiner Schützlinge auf. Ein Schüler erzählte: "Also gestern bin ich vom Ullman ins Cafe eingeladen worden, wo er mir eröffnete, wie sehr er sich um mich sorgt. Er meinte: 'Junge, ich glaube du hast ein Alkoholproblem'". Bei selbstkritischer Beobachtung hätte er mit Erschrecken ein solches bei sich konstatieren müssen: eine Zufallsaufnahme einer späteren Klassenfete zeigt Ullman - sehr appetitlich! - beim Erbrechen.

    "Probleme mit Alkohol" hatte auch jener Pädagoge, der die örtliche Hauptschule wenige Jahre später eines solchen Leidens wegen verlassen musste. Vorausgegangen waren Proteste von Eltern, die ihre Kinder der Verwahrlosung ausgesetzt sahen, nachdem sich der Lehrer nicht mehr in der Lage sah, den Unterricht den Schülern zu vermitteln. Und er scheint kein Einzelfall zu sein. Aus einer kürzlich mit einer ehemaligen Schülerin des örtlichen Gymnasiums geführten Unterhaltung ergab sich folgendes: "An den Schulen im Ort kenne ich mindestens zwei Lehrer mit massiven alkoholischen Problemen." Das erinnerte mich sogleich wieder an den Biologie-Unterricht in der siebten Klasse in dem ein Lehrer der benachbarten Realschule folgendes zum besten gab: "Auch wir hatten einmal einen Kollegen, der in seinem Spind ständig eine Flasche Alkohol versteckt hatte. Bis wir das herausfanden und ihm erklärten: 'Also du, das geht nun wirklich nicht'" Wie ich später herausfand, ist der Pädagoge an den Folgen seiner Sucht verstorben.

    Motivation und Interesse


    Unmotivierter Schulbesuch. Das ist jene Formel, die viele der Missstände der damaligen Klassenstruktur erklärt. Eine kurzbiographische Skizzierung einzelner Mitschüler ist dabei sehr hilfreich.

    Ganz zu Beginn sind sie noch da. David und Engin. Beide sichtlich ohne Antrieb. Auffällig ist anfangs vor allem David, der nur sehr selten den Unterricht besucht. Ich erfahre, dass er eine Ausbildung zum Automechaniker abgebrochen hat und sich nun an der Mittleren Reife versucht. Wohl nicht ganz aus eigenem Antrieb, wie schon ein Statement aus den ersten Tagen des Schulbesuchs vermuten lässt. Ullman forderte jeden einzelnen auf, sich kurz der Klasse vorzustellen. Unvermittelte Äußerung der Klasse gegenüber: "Also ich finde einfach alles Scheiße, die ganze Politik und überhaupt alles". Das war wohl nicht sein einziges Problem: David mokiert wenige Tage darauf das Verhältnis den Eltern gegenüber, das er als schlecht einstuft. Über den Zeitraum der folgenden Wochen macht er vor allem durch seine Abwesenheit von sich reden. Eine Lehrerin bemerkt hierzu: "Als ich heute morgen an die Schule fuhr, radelte doch tatsächlich der David in der Stadt herum!" Wenige Tage darauf teilte uns Ullman mit: "Leute, der David hat die Schule verlassen. Seine Mutter hatte gar nicht mitgekriegt, dass er die ganze Woche nur im Bett gelegen ist. Sie ist immer davon ausgegangen, dass er gleich zur Schule gehen würde." Für Jürgen wieder einmal eine Gelegenheit seine Überheblichkeit zur Schau zu stellen: "Den hätte ich mir auch unmöglich vorstellen können, wie der so im Anzug am Bankschalter steht." Tja Jürgen, Kleider machen Leute, was?!

    Eine ähnliche Bewandnis hatte es mit Engin. Der Schüler türkischer Herkunft war mit seinen knapp 20 Jahren wesentlich älter als der Klassendurchschnitt, hätte die Schule locker packen können, stand er in den Kernfächern kaum schlechter als "gut", obgleich er in dem halben Jahr seines offiziellen Schulbesuchs bestenfalls fünf Prozent des Unterrichts miterlebte. Seine Anwesenheitszeit füllte der stämmige Junge zumeist mit allerlei Schabernack aus. Eine Spieldose, die durch kräftiges Schütteln monotone Kuh-Geräusche von sich gab, war eines Morgens sein Spielzeug. "Katrin, sei still" gemahnte er seine Mitschülerin in Anspielung auf deren Sprachfehler. Ortswechsel. Physik-Stunde bei Studienrat Richter. Eine Schülerin klagt über starke Bauchschmerzen. Engins öffentlich verlautete Vermutung: "Vielleicht ist sie schwanger!" Wenige Tage darauf klopfte der Rektor an die Tür und bat Engin mitzukommen. Zur allgemeinen Belustigung an die Klasse gewandt: Sollte seine Abstinenz länger als fünf Minuten betragen, seien wir aufgefordert, die Polizei zu verständigen. Nicht die Polizeibehörden, wohl aber die pädagogische Vernunft war es, die schlussendlich zum Verweis von der Schule führte. Ullmans Kommentar: "Der Engin wurde von seinem Vater auf diese Schule angemeldet. Der wollte nämlich, dass sein Sohn endlich was Ordentliches lernt." Im nachhinein habe ich mir oft Gedanken darüber gemacht, wie es wohl kommen mag, dass jemand seine Talente so sehr brach liegen lassen kann. Dabei hatte ich immer Tim, jenen Mitschüler aus der Grundschulzeit vor Augen, der das örtliche Gymnasium bis zur achten Klasse besuchte, dann auf die Realschule wechselte, und nach drei Wochen den Besuch des Wirtschaftsgymnasiums abbrach.

    David und Engin waren nur die Spitze des Eisbergs. Tagelanges unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht war bei einigen Schülern keine Seltenheit. Eben diese Pennäler trugen mit ihrer Abwesenheit nicht unwesentlich dazu bei, dass ein Teil des regulären Unterrichtsstoffs wieder und wieder rekapituliert werden musste.

    Strukturprobleme


    Die restliche Zeit im schulischen Unterricht war für mich durch Andreas´ und Jürgens monotone Mobbing-Attacken bestimmt. Hierbei fällt mir vor allem bei Jürgen im nachhinein auf, dass dessen Aggressivität in erster Linie der massiven Unterforderung seinerseits bestand. Zu Anfang erzählte er mir ja schon, dass er seinen Hauptschulabschluss ohne größeres Zutun mit der Durchschnittsnote 1,4 baute, was ich ihm glaube, zumal er auch auf der Wirtschaftsschule in nahezu allen Fächern mit überragenden Leistungen glänzte. Hätte er sein zehntes Schuljahr absolviert, wären mir viele schlimme Erfahrungen sicherlich erspart geblieben, was letztlich auch in seinem Interesse gewesen wäre. Es war überhaupt auffällig, dass schulische Gewalttaten entgegen den immer noch gängigen Klischees sehr viel öfter von ausgesprochen intelligenten und leistungsstarken Schülern ausgingen. Diese steckten in einem ganz besonderen Dilemma. Sie waren frustriert, da die guten Leistungen oftmals das Einzige waren, womit sie sich hervortun konnten. Andreas war in der seltenen Lage, eine Chemie-Klassenarbeit mit "sehr gut" zu bewerkstelligen, was ihm nach eigener Auskunft nicht mehr Energie abverlangte, als am Tag der Klausur im Schulbus die entsprechenden Unterlagen einmal durchzublättern. Und in der Tat waren es die Spitzenleistungen, die ihm kurze Zeit später bei einer nahegelegenen Bank die Ausbildung zum Bankkaufmann und im zweiten Schuljahr einen verantwortungsvollen Posten innerhalb des Klassenverbands sicherten. Beim besagten Kreditinstitut soll er bereits eine recht gute Position innehaben. Auch der andere Teil des Duos braucht sich keine Sorgen zu machen, konnte er doch nach bestandenem Abitur ins verwandtschaftliche Unternehmen einsteigen. Alex, dem eingangs erwähnten Mitschüler, der mich in früheren Schuljahren immer wieder "in die Mangel" nahm, erging es indes nicht ganz so gut: Nach wiederholtem Sitzenbleiben - im ersten Jahr befand er sich in meiner Parallelklasse - musste er die Schule verlassen.

    Doch es waren nicht nur jene Andreas und Jürgen, die diese Jahre so schwierig gestalteten. Auch die Klassenstruktur selbst war es, die ihren Teil dazu beitrug. Und diese verdeutlicht, wohin die Wahl einer Schule führen, kann, die bei einigen anscheinend nach dem Motto "Wenn ich schon kein Lehrstelle finde, dann gehe ich eben weiter zur Schule" oder auf Drängen seitens des Elternhauses, also ohne jegliche Motivation, getroffen wird. Ich will an dieser Stelle bestimmt nicht jeden einzelnen über eine Kamm scheren, doch war dies bei einigen Schülern sicherlich der Fall. Zu beobachten war in diesem Zusammenhang eine auffällige Interesselosigkeit, die wohl nicht selten als Erklärung für mach eine Eskapade hinhalten muss. Die Schule, die Noten - das war's im Grunde schon. Aber sich darüber hinaus mal für etwas zu interessieren, was nicht als Hausaufgabe aufgegeben war, war nicht drin. Solche Charakterisierungen finden meines Erachtens vor allem bei besonders guten Schülern Anwendung. Kurzum: Alles in allem ging es noch abgestumpfter zu als auf der Hauptschule. Gleich zu Beginn war eine regelrechte Fraktionsbildung im Gange, die Gruppen in einer Stärke von jeweils etwa vier bis sechs Personen hervorbrachte, die sich untereinander zum Teil heftig befehdeten. Von einer Klassengemeinschaft konnte also keine Rede sein. Einigkeit bestand bestenfalls in der Haltung dem Klassenlehrer gegenüber. Von er geäußerten Kritik möchte ich mich keineswegs ausnehmen. Auch für mich war es wichtig, dazuzugehören. Und das erklärt meine Bereitschaft, mich an einigen wirklich nicht tollen Unternehmungen zu beteiligen. Ich weise an dieser Stelle erneut darauf hin, dass meine Absicht nicht darin besteht, ausschließlich den äußeren Umständen schuldhaftes Verhalten anzulasten, denn auch ich hätte manchmal mehr für den schulischen Erfolg leisten können. Den massiven Leistungsabfall, insbesondere im zweiten Schuljahr, führe ich jedoch weiterhin auf den Psychoterror der besagten Mitschüler zurück.


    Ein Höllentrip an die Moldau


    Zu dessen Beginn stand die bevorstehende Klassenfahrt zur Debatte. Nach eingängiger Diskussion mit den beiden Klassenlehrern gab die Mehrheit der tschechische Metro.... Prag den Vorzug vor Sorrent. Die Ereignisse auf dieser Tour sollten zu einem Wendepunkt in der Beziehung zu Ullman werden.

    In den Morgenstunden des 18. September 1993 brach unser Bus in Fahrtrichtung Tschechei auf. Bereits auf der Fahrt dorthin offenbarten sich erneut Ullmans extreme Verhaltensweisen. So sah er z. B. sich genötigt, die Entscheidung, ob im Bus denn nun ein Film gezeigt werden dürfe oder nicht, mittels einer Unterschriftenliste zu fällen. Weit legerer zeigte sich der Pädagoge schließlich wieder einmal in Bezug auf Alkoholika. Wie zur Bestätigung dessen wurde als erste Station unserer Reise die weltberühmte Brauerei in Pilsen anvisiert und der gebetsmühlenhaft ein regelmäßiger Besuch im Prager Bierlokal U´flecu von ihm verkündet. In Prag angekommen war der Jubel groß, als feststand, dass das Hotel "REHA" uns die nächsten Tage als Domizil dienen werde. Im Gegensatz zur postsozialistischen Architektur der Kapitale stach die Herberge immerhin durch ein sauber rotgetünchetes Äußeres hervor.

    Endlich aus dem Bus ausgestiegen, stand die zuallererst die Belegung der Zimmer auf der Agenda. Georg, ein Mitschüler mit dem ich mich gut verstand, zeigte sich mir gegenüber sehr behilflich, einen Zimmerpartner zu finden. Auch Danny, ein Schüler der Parallelklasse, der wenige Jahre zuvor mit seinen Eltern aus der damaligen DDR geflohen war, wurde angefragt. Wild gestikulierend erteilte er mir folgende Absage: "Nein, bloß nicht mit dem Kaiser in ein Zimmer, bloß nicht." Mit Danny kam es übrigens immer wieder zu derartigen Konfrontationen. Insbesondere im Sportunterricht, wo Danny sich mittels seiner überdurchschnittlichen Leistungen immer wunderbar hervorheben konnte. Doch auch die Klassenlehrer waren sich wahrlich nicht grün und das fand seinen Höhepunkt darin, dass sich Ullmann mit der Lehrerin der Parallelklasse, Frau Kutz, - die bei den Schülern als äußerst beliebt galt - unter wüstesten Beschimpfungen in die Wolle geriet. Was nun der letztendliche Auslöser war ist mir entfallen, jedoch schwelte der Streit zwischen den beiden schon seit einigen Tagen.

    So machte das Gerücht die Runde, die Hotelleitung beabsichtige, wegen des aus ihrer Sicht unzumutbaren Verhaltens der beiden Klassen die deutsche Botschaft zu informieren. So weit ich mich erinnere, wurde vor allem der katastrophale hygienische Zustand einiger Zimmer als Begründung für das Vorhaben angeführt. In einem Zimmer würden sich die Putzkolonnen sogar weigern, ihren Dienst zu tun, derart verdreckt würde es dort aussehen.

    Am Abend des vorletzten Aufenthaltstages stand der Besuch eines Variétes auf dem Programm. Der Umgebung war es wohl zuzuschreiben, dass es dort unter den Schülern einigermaßen gesittet zuging. Ullmann und Kutz wagten sich gar aufs Tanzparkett. Im Anschluss an den Besuch entluden sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Kollegen in voller Stärke. Kutz, von Ullmann auf die geäußerten Beschwerden angesprochen, hatte sich mit dem Hinweis „nun endlich mal schlafen“ zu gehen, mit einigen Schülern in den Hotelaufzug begebe. Ullman zeigte sich darüber so sehr erbost, dass er mit voller Wucht gegen die Tür des Aufzugs trat. Immer noch rasend vor Wut veranlasste ihn die Situation zur Durchführung einer Alkohol-Razzia, die sich auf sämtliche Zimmer ausdehnte und schlussendlich gar in Handgreiflichkeiten ihm gegenüber ausartete. Am nächsten Mittag sehe ich Ullmann auf dem Nachbarbalkon stehen. Ob er mal kurz die Toilette in meinem Zimmer benutzen dürfe. Aber sicher doch, sage ich. Nach Erledigung seines „Geschäfts“ befragt er mich zu den Ereignissen des vorangegangenen Abends. Wahrheitsgemäß antworte ich ihm, dass ich davon nicht allzu viel mitbekommen habe und meine ruhige Art mich ohnehin nicht prädestinieren würde, an solchen Aktionen mitzuwirken. Die Klassenfahrt war somit gelaufen. Aber auch innerhalb der teilnehmenden Schüler kam es immer wieder zu Missgunst und Zänkereien. So wurde auch ich erneut zur Zielscheibe einer besonders fiesen Atta (so meine ich den Text in Erinnerung zu haben) leider nicht mehr möglich sei, die Zusage weiter aufrecht zu erhalten.

    Diese Nachricht zog mich mächtig runter. Ich war am Boden zerstört. Nun kam also alles zusammen. Meine Situation verschlechterte sich zusehends. Im Fach Mathematik wurde unserer Klasse ein Lehrer zugeteilt, der es im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht allzu gut verstand, die fachlichen Inhalte der Klasse herüberzubringen. So wurde es insbesondere für mich recht problematisch, dem Unterricht zu folgen und die Ergebnisse fielen dementsprechend drastisch aus. Meinem Ansinnen, der Berufsfachschule eventuell den Besuch des Wirtschafsgymnasiums anzuschließen, war nicht zuletzt deswegen endgültig ein Strich durch die Rechnung gemacht, weil sich mein Leistungsbild auch in zwei anderen Fächern verschlechterte und der Psychoterror der besagten Mitschüler unvermindert fortgesetzt wurde. Im Maschinenschreiben rutschte ich um fast drei Notenstufen nach unten, nachdem ich zwei Klassenarbeiten mit "ungenügend" absolvierte. "Jetzt brauchst Du ja nicht allzu lange Deine Note errechnen", sekundierte eine Mitschülerin nicht ohne leisen Triumph.

  • #2
    AW: Meine Schulzeit - Ein Rückblick (Teil 2)

    Hallo Matthias. Kaiser-tolle und interessante Geschichte und wie ist der Schluß? Jetzt habe ich alles gelesen, was haben sie denn nun gemacht, wie ging der Weg weiter? Und was ist aus den Jungs geworden, die Sie so gepisakt haben? Meine Neugier ist geweckt;-)), nun möchte ich gerne noch den Schluß wissen. Ich hoffe sehr, daß Sie nochmal schreiben-Gruß Biggi

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